Ordnungen des Wissens: Wer ist berufen, die Dinge beim Namen zu nennen? Im Falle der Beulen- und Lungenpest Allgemeinmediziner, Bakteriologen, Pulmonologen, dann Theologen, Soziologen… Rieux macht abends seine Hausbesuche: Der alte Asthmatiker sitzt wie immer auf seinem Bett und vertreibt sich die Zeit mit Erbsenzählen. Noch zählt niemand die Toten. Der Leser begegnet einem weiteren Bagatellisierer, weniger Ignorant, mehr amtlicher Leugner: „Immerhin telefonierte Rieux mit dem städtischen Entrattungsdienst, dessen Direktor er kannte. Hatte er schon von den Ratten gehört […]? Direktor Mercier hatte davon reden hören, man hatte sogar in seinen eigenen Diensträumen in der Nähe des Meeres über fünfzig Stück gefunden. Doch fragte er sich, ob das Ganze ernst zu nehmen sei. Rieux wusste es nicht, aber er war dafür, dass der Entrattungsdienst einschreite. ‚Ja‘, sagte Mercier, ‚mit einem schriftlichen Befehl. Wenn du meinst, es sei der Mühe wert, kann ich versuchen, einen zu erlangen‘. ‚Es ist schon der Mühe wert‘, sagte Rieux.“ [11]
Ordnungen des Wissens: Wer berufen ist, hat auch einen Ruf zu verlieren. Außer man beginnt zu zählen. Dabei kann man nichts falsch machen. Statistiker verstecken sich hinter der scheinbar neutralen Mathematik. Aus den Zahlen können Zweitwohnungsbesitzer Schlüsse ziehen. Aber nicht immer entsteht in der Villa auf dem Lande ein Dekameron. „Die Sache ging so weit, dass die Agentur Ransdoc […] bekannt gab, dass am 25. April allein 6231 Ratten eingesammelt und verbrannt worden waren. Diese Zahl gab dem täglichen Schau-spiel, das die Stadt vor Augen hatte, einen klaren Sinn und vermehrte die Verwirrung. […] Am 28. April gab Ransdoc eine Ausbeute von ungefähr achttausend Ratten bekannt [Warum erst eine exakte, dann eine ungefähre Zahl? fragt Xing], und in der Stadt erreichte die Beklemmung einen Höhepunkt. Man verlangte durchgreifende Maßnahmen, man klagte die Behörden an, und einige, die ein Haus am Meer besaßen, spielten bereits mit dem Gedanken, sich dahin zurückzuziehen.“
