Heute mal nichts zu Camus, sondern Aktuelles zu Ungarn

Lesenswertes Interview mit dem Historiker Krisztián Ungváry in der Freitagsausgabe der „WELT”. Die auch in Deutschland geäußerte Kritik am Corona-Gesetz, das der ungarischen Regie­rung die Möglichkeit gibt, auf unbestimmte Zeit mit Dekreten zu regieren, beschränkte sich bisher darauf, die demokratische Legitimität in Frage zu stellen. Damit wurde es den Apolegeten leicht gemacht, die Kritik zurückzuweisen, indem auf das legale Zustandekommen des Gesetzes mit der gewählten Zweidrittelmehrheit hingewiesen wurde. Ungváry macht deutlich, dass Orbán mit dem Gesetz keinen realen Machtzuwachs verzeichnet, weil die Macht auch so schon nahezu total ist. Bisher konnte er aufgrund dieser aus willfährigen Abgeordneten bestehenden Mehrheit mit der Zustimmung zu allen Maßnahmen rechnen. Laut Ungváry gehen 95% aller Gesetzesentwürfe ohne Änderung durch das Parlament, in Deutschland ca. 50%.

Das Corona-Gesetz war vielmehr ein Schachzug in der politischen Kommunikation. Die Oppositionsparteien, die bei den Kommunalwahlen im vergangenen Herbst hauptsächlich in Budapest und einigen größeren Städten Erfolge erringen konnten, wurden in das Dilemma gestürzt, entweder zuzustimmen und sich damit zum Werkzeug der Regierung zu machen oder wie oft schon ihr „Ungarntum” in Frage stellen zu lassen. Nichts macht die Hilflosigkeit der Opposition deutlicher, als ihr Versuch, die Zustimmung zu dem Gesetz von einer zeitlichen Befristung abhängig zu machen. Insofern gehen auch die Vergleiche mit dem „Ermächtigungsgesetz” 1933 im Deutschen Reichstag in die Irre. Hitlers Koalitionsregierung aus NSDAP und DNVP hatte zwar die absolute, aber keine verfassungsändernde Mehrheit. Die berüchtigte Formel „Gebt mir vier Jahre Zeit” diente der Vorbereitung eines Angriffskrieges. Orbán ist kein Diktator, so Ungváry. Er instrumentalisiert die Corona-Krise, um seine Wiederwahl zu sichern.

https://www.welt.de/politik/ausland/plus207277043/Corona-in-Ungarn-Historiker-kritisiert-Viktor-Orbans-Notstandsgesetz.html?cid=onsite.onsitesearch

An der Schwelle zum neuen Jahr

Das Portal der romanischen Kirche in Lébény

Das Portal der romanischen Kirche in Lébény


Dieses Kirchenportal in Lébény hat mehr Charme als eine Erstaufnahme-Einrichtung. Es wurde auch länger daran gebaut. Es gab einen Plan. Wunderbar, diese Symmetrie. Aber manchmal ist ja – was spiegelbildlich zu sein vorspiegelt – durch ein winziges Detail verändert – eine Laune, eine Mutation, ein spontaner Einfall, eine Abweichung im Muster schaffen einen Riss in der Realität – und durch diesen Riss tritt der Engel auf die Bühne, wie hier am Eingang zu einer der wenigen romanischen Kirchen in Ungarn, die der Mongolensturm übrig gelassen hat. Heißt der Engel den Ankömmling willkommen? Oder ist er der Türhüter, der streng die Identität prüft? Stimmen die Papiere vor dem Gesetz? Holt der Engel sein Flammenschwert hervor? Eins ist sicher, wie bei Kafka nachzulesen ist: Dieses Portal ist nur für diesen einen Asylsuchenden errichtet. Er muss allen Mut zusammennehmen, und er muss hinter die Rede des Engels schauen. Wer eintritt, verändert nicht nur sich selbst – er verändert das Innere des Raums, den er betritt.

Der Adler und der Goldhamster

Kopf, blonde Haare, schwarze AugenbindeDer Goldhamster, er wusste nicht wie und warum, erfreute sich der besonderen Gunst des Königs Nobel. So kam er, von anderen Höflingen argwöhnisch beäugt, in einem Gefühl (vielleicht) trügerischer Sicherheit seinem eigentlichen Lebenszweck nach: Er hamsterte. Und wie um seinem Namen Ehre zu machen, hamsterte er mit Vorliebe Gold – Gold in jeder Form, als Staub oder Nugget, gegossen in Barren oder geprägt in Münzen – auch Blattgold verschmähte er nicht. Er ging im Palast des Königs ein und aus, und beinahe hätte man gesagt, er fühle sich dort heimisch, wäre nicht an ihm ein gewisses zögerliches Moment, eine sozusagen zeremonielle Steifheit zu beobachten gewesen. Befragt von Hofräten seines Vertrauens, warum er, der doch in der Sonne des Souveräns förmlich bade, sich nicht ein wenig lockerer gebärde, wies er mit zierlicher Geste hinauf zu den Deckengewölben des Königspalastes: „Es ist wegen der vielen scharfen Schwerter, die von der Decke herabhängen.“ Seitdem nannte man ihn in gewissen Kreisen „unseren Damokles“. Dem König kam das zu Ohren, und in einem Anfall von Güte empfahl er seinem Goldhamster eine Sommerfrische auf dem platten Land. „Aber Majestät, unter dem freien Himmel habe ich nur die Angriffe des Adlers oder anderer Raubvögel zu erwarten. Es wäre mein sicherer Tod.“ Da verbot der König in einem Erlass dem Adler und anderen Raubvögeln bei ihrem Leben, die Klauen in den Goldhamster zu schlagen, und gab dies dem Hamster als Schutzbrief mit. Ganz entspannt auf der hart getretenen Erde, auf dem kurz gefressenen Gras der weiten Tiefebene,  genoss unser Goldhamster den Brand der Sommersonne. Da wurde er von einem Stein erschlagen. Mit brechenden Augen erkannte er den Adler, der den Brocken in seinen Klauen aus dem Felsgebirge her getragen und direkt über ihm ausgeklinkt hatte.

Der Löwe sagte: „Der Adler verdient Respekt“ und gab ihm die Aufsicht über das Bankenwesen. Die Bankenaufsicht wurde ins Postministerium eingemeindet, das der Adler nach der Verbannung der Schnecke bereits führte.

General Winter

 

Zurück aus Berlin. Es war nicht nur kalt, die Stadt ist auch klamm, kein Geld mehr für Schneeräumung bzw. Streumittel vorhanden. Das Granulat, zum Abstumpfen auf den festgetretenen Schnees gestreut, war bei Tauwetter in den Matsch gesunken und dann bei erneuten Minusgraden wirkungslos in die spiegelglatte und wellige Eisfläche eingefroren. Die Krankenhäuser sollen voll sein mit Menschen, die sich die Knochen gebrochen haben. Die privaten Firmen, denen die öffentliche Aufgabe der Tauwetterproduktion eigentlich überlassen worden war, hatten in den vergangenen milden Wintern Personal entlassen, statt die Leute die – wie sich jetzt herausstellt –  wirkungsarmen Kehrmaschinen kaputtpflegen zu lassen. Im Fernsehen war abends Claus Peymann zu sehen, der vor seinem Theater (immerhin Brechts „Berliner Ensemble“) PROTESTIERTE und einen argumentativen Schlittertanz aufführte: Bei aller Polemik gegen den Weltstadtanspruch lag ihm eigentlich auf der Zunge, einen Arbeitsdienst für Hartz-IV-Empfänger zu fordern, damit seinen Theaterbesuchern zur aufgeräumten Stimmung auch geräumte Wege verfügbar sind. Damit wäre er allerdings gefährlich in die Nähe des Vizekanzlers und FDP-Vorsitzenden gerutscht, der im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Sätzen das Leistungsprinzip in Gefahr sieht:  „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ In der Tat sind die Passanten in Budapest mit seinem ein bisschen weniger gut funktionierenden Kapitalismus besser dran; hier hat man den Arbeitslosen Hacke, Schaufel und Sicherheitsweste ausgehändigt und so für umgerechnet ein, zwei Euro sowie eine warme Mahlzeit pro Mann oder Frau am Tag zunächst die Straßenbahnweichen und -haltestellen freigemacht, dann die Straßenkreuzungen und Zebrastreifen und schließlich die Bushaltestellen und Gehwege. Da muss man nicht ständig vor die Füße schauen und ein empfindliches Gleichgewicht halten, sondern kann sich auch mal gehen lassen.

Internationaler Holocaust-Gedenktag in Budapest

Angesichts der Tatsache, dass bald keine Zeitzeugen mehr leben, richtet sich der Blick nach vorn: Im Budapester Holocaust-Gedenkzentrum wurde heute aus Anlass des Gedenktages das Projekt „Egy/másért“ („For Each Other“ – „Ein jeder für den Anderen“) vorgestellt. Die Botschafter von sieben Ländern (Deutschland, Großbritannien, Kanada, Polen, Schweden, Tschechien, USA) stellten hochrangige kulturelle Projekte vor, die sich – zum Teil länderübergreifend – schon seit Jahren erfolgreich für Toleranz und Völkerverständigung, für den Schutz von Minderheiten und der Menschenrechte, für die Integration von Migranten, gegen Antisemitismus, Rassismus, Ausgrenzung und Holocaust-Leugnung einsetzen. Mit der Initiative möchten die Organisatoren, unterstützt vom Ungarischen Ministerium für Kultur und Bildung, insbesondere junge Menschen für diese Themen interessieren und zum sozialen Engagement in eigenen Projekten anregen.