Lektüre des Romans von Norbert Gstrein: „Die Winter im Süden“ (2008). Schauplätze sind Zagreb und die dalmatinische Küste, Buenos Aires und die Pampa während des eskalierenden Jugoslawien-Kriegs. Die Rezensenten hoben beim Erscheinen des Romans die existenzielle Leere der Hauptfiguren hervor: des „Alten“, eines renommiersüchtigen ehemaligen Ustascha-Kämpfers, der in den Krieg zurückzukehren sich anschickt, seiner von ihm für tot erklärten Tochter, die unglücklich mit einem Wiener Alt-68er und Kulturredakteur verheiratet ist, und eines abgehalfterten Polizisten: Diesem wurde am Wiener Westbahnhof vor seinen Augen die Kollegin und Geliebte erschossen. Ihm blieb ja gar nichts anderes übrig, als bei seiner kopflosen Selbstverfügung in den Urlaub nach Argentinien als Faktotum, Chauffeur und Leibwächter des Alten, nebenbei als Beischläfer von dessen jüngerer Ehefrau zu enden. „Die Winter im Süden sind schrecklich.“ Am Ende sind wir nur noch ein Gräberfeld mit toten Sätzen wie diesen. Die entkernten Individuen erinnern an die ausgeweideten Interieurs der Hotelanlage etwas außerhalb von Malinska auf der Insel Krk, die ich im Sommer 2010 in Augenschein nehmen konnte: die großen Fensterscheiben zersplittert, die Glühlampen ausgeschraubt, die Kabel aus den Wänden gerissen, auf dem Steinboden Katzen- und Eulendreck, der leere Aufzugsschacht führte blind nach oben. Eine Rezeption, die nicht mehr auf Empfang war. Eigentum eines Staates, der nicht mehr existierte. Auch das steht im Roman: In den Hotels an der Adriaküste hausten die kroatischen Flüchtlinge aus Slawonien und der Krajna, die sich vor der jugoslawischen Armee hatten in Sicherheit bringen können. Eine der europäischen Kulturhauptstädte 2010 war Fünfkirchen, das ungarische Pécs: Es feierte sich als Tor zum Balkan.