Eisenbahnglück? Glück? Ein etwas kryptischer Hinweis in meinem letzten Post Eins fügt sich ins andere #3. Thomas Mann blieb es vorbehalten, eine Novelle mit dem Titel „Das Eisenbahnunglück” zu schreiben, erschienen am 6. Januar 1909 in der Wiener Neuen Freien Presse, aufgrund eines selbst erlebten Unfalls drei Jahre zuvor.
1925 erschien eine Sammlung von Grotesken von Mynona (d. i. Salomo Friedländer) unter dem Titel „Das Eisenbahnglück oder der Anti-Freud”. Eine feucht-fröhliche Runde von Dickbäuchen mit feistem Nacken, steifen Monokelträgern und kleinbürgerlichen Jagdhütchenträgern gießt Hohn und Spott über Sigmund Freuds Grundannahme aus, dass die Sexualität eine zentrale Rolle bei der Ichwerdung des Menschen spiele. Ein jeder hat eine Anekdote parat, mit der er die These beweisen will, dass ein Koitus durch rein mechanische Vorgänge zustande kam.
„Was soll ich euch viel erzählen! Noch vor der nächsten Station, mitten auf der Strecke, gab es einen kolossalen Krach. Unser Abteil stellte sich zur Abwechslung von den Rädern auf die Querwand. Ich wurde hochgeschleudert und stürzte auf das arme, tief unter mir befindliche Mädchen. Dann wurden wir so eng aneinander gequetscht, daß wir uns kaum noch rühren konnten, und unsere Kleidung platzte zugleich in sämtlichen Nähten. Damit aber noch nicht genug, so zottelte die entgleiste Lokomotive, an der unser Abteil irgendwie hing, uns rhythmisch hin und her. Ich schwöre, der unheimlichste Kuppler, der mit Anwendung von leiblicher Gewalt ein Paar zusammenschmieden wollte, hätte kein insidiöseres Raffinement aufbringen können, als hier diese ganz mechanische Katastrophe es unwillkürlich mit sich brachte.” [Mynona: Das Eisenbahnglück oder der Anti-Freud / Mynona (Salomo Friedländer). Mit Zeichnungen von Hans Bellmer. – 1. Aufl. – Hamburg: Junius-Verlag 1988, S. 21]