Mutig, der Ansatz. Die Familienmitglieder der zweiten Generation leben noch – und schon kommen Erinnerungsstücke an die erste ins Museum. Die Doppelausstellung von Katharina Roters und József Szolnoki greift tief in die Familienarchive und in das kollektive Vergessen, dessen Larven und Lemuren an die Oberfläche drängen. „HACK The PaST!” ist das Motto, „HACKeLD a MÚLTaT” lautet es auf Ungarisch. Die Künstlerin gibt etwas von sich preis, sie stellt sich aus: Ihren kühl-analytischen Blick auf „Mein[en] Opa” – das ist der Vater des deutschen Vaters – und auf „Nagypapa” – dabei handelt es sich um den Vater der Mutter. Katharina Roters geht aber auch dahin, wo es weh tut. Und so wird etwas wie „nachgetragene Liebe” daraus (der Titel eines Romans von Peter Härtling, in dem er seinem Vater ein Denkmal setzte). Die fotorealistischen Gemälde von Opas Hochzeitsreise (Klick hier), in einem verblassenden Rosa-Sepia-Ton gehalten, werden ergänzt von Objekten aus dem Familienbesitz: das Exemplar von „Mein Kampf”, das jedes deutsche Paar zur Hochzeit geschenkt bekam, aus dem das Hitler-Porträt herausgerissen wurde, wird mit einem unversehrten Exemplar konfrontiert. Dazu passt die Konfrontation zweier Porträtfotos, das den alterslosen Bräutigam zeigt: Einmal mit dem NS-Fliegerabzeichen aus den 30er Jahren, dann das gleiche Foto vom Ende der 40er Jahre, das gleiche Gesicht, die gleiche Krawatte, nur auf dem Anzugrevers ist das Abzeichen wegretuschiert. Unter die Haut geht die Porträtzeichnung von Nagypapa, der mit einem halben Schnurrbart dargestellt wird. Als einer der obersten Richter des Komitats hatte er im Juni 1946 noch die Exhumierung eines Massengrabes beaufsichtigt, in dem auch die sterblichen Überreste des Dichters Miklós Radnóti gefunden wurden. Radnóti war mit anderen jüdischen Zwangsarbeitern auf dem Todesmarsch von Bor in Serbien Richtung Österreich per Genickschuss exekutiert worden; die Schergen hatten ihn am Rand der Landstraße von Győr / Raab nach Abda verscharrt. Sein Notizbuch mit seinen letzten Gedichten trug er bei sich. Später unter den Stalinisten verlor Nagypapa sein Amt, das juristische Diplom wurde ihm aberkannt. Als Buchhalter in der Lebensmittelindustrie konnte er den Lebensunterhalt seiner Familie sichern. Eines Tages trieben die Genossen ihren Scherz mit ihm und rasierten ihm den halben Schnurrbart ab. Jószef Szolnoki ergänzt diesen sehr persönlichen Ansatz seiner Frau Katharina Roters und zeichnet in die Säle des Museums Reflexionslinien ein, die den Blick von der Familiengeschichte in die europäische Erinnerungskultur verlängern. Als Filmemacher dokumentiert er zum Beispiel die Arbeit mit einer Jugendgruppe, welche die Figuren eines Reliefs aus der Rákosi-Ära mit der Standbild-Methode analysiert. Das Relief am Komitatshaus war vor einiger Zeit plötzlich wieder im Stadtbild Salgotarjáns erschienen, nachdem eine Reihe Bäume gefällt werden musste… Aleida Assmann spricht in ihrem Buch „Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur” von einer „nachhaltigen Spaltung Europas”. Die „Opferkonkurrenz” zwischen Holocaust und Gulag ist noch nicht durch ein gesamteuropäisches, symmetrisch den stalinistischen und den nationalsozialistischen, auf Vernichtung abzielenden staatlichen Terror verknüpfendes Gedenken zum Stillstand gekommen. Die Ausstellung im Rómer Flóris Műveszeti és Történeti Múzeum, das im Eszterházy-Palais mitten in Győr / Raab untergebracht ist, kann diese Unwucht mindestens für die Dauer eines Besuchs aufheben. Die Ausstellung ist bis Ende Februar geöffnet.