Fading

It fades, fades, and fades

Warum ich schreibe – manchmal, und oft nicht, und bald nie mehr? Im Grunde bin ich sparsam. Zum Schreiben brauche ich höchstens e i n e n Grund. Es gab eine Zeit, da richtete ich „Fax-Botschaften an die nervöse Welt“: unregelmäßig, zufällig, immer wenn ein DIN-A4-Blatt wieder mit Aphorismen gefüllt war. Meistens nachts. Die Freunde beschwerten sich, wenn das Faxgerät sie aus dem Schlaf riss. Seit es elektronische Post gibt, ist auch das vorbei. Kein Postbote klingelt an der Haustür, kein Schlüssel klappert im Schloss des Briefkastens. Das Fax ist tot. Meine Botschaften versickern still im Cyberspace. Keine Resonanz. Und für die Ewigkeit schreibe ich schon lange nicht mehr, weil – ich muss nicht. Ich spüre keine Berufung. Die Welt wird nicht besser von meinem Schreiben. Den Stolz nähre ich mit anderen Dummheiten – und auch dieser Satz, in der Haltung eingeübter Bescheidenheit, ist eitel und nur Haschen nach Wind. Fishing for compliments. Meine Familie ernähre ich von anderer Arbeit. Spuren muss ich nicht mehr hinterlassen, meine Gene wirken in meinen Kindern fort. Eigentlich arbeite ich daran, zu verschwinden.

Graffito, Hamburg, Schanzenviertel, 1. November 2008

Graffito, Hamburg, Schanzenviertel, 1. November 2008

Lange reichte mir als Grund für mein Schreiben, dass e i n Mensch mich lesen wollte. Ich meine nicht die pubertäre Motivation für Lyrik und verworfene Romananfänge. Auch nicht die bekannte unbekannte Leserin, Bewohnerin meiner Schreibtisch-Schublade. Ich habe ihr den Namen Nemesistina gegeben, sie wollte unbedingt einen Namen von mir. Sie ist die Muse, die mir die Muße raubt, und sie existiert wirklich. Ich habe gedacht, ich brauche sie, weil ich entspannt nicht schreiben kann. Aber das ist der falsche Weg. Ich darf nichts herauspressen. Es müsste fließen.

Nein, hier spreche ich von einem anderen Leser. Über Jahre meines Erwachsenenlebens hinweg hat e r mich gefordert, indem er meine (wenigen) Gedichte las und übersetzte – in seine Muttersprache. Er hat mich gefordert und beschenkt zugleich, denn mit dem Lesen seiner Übersetzung begannen erst die Arbeit und das Vergnügen des Dialogs. Oder indem er meine Kurzprosa als vertracktes Wagnerianisches Gesamtkunstwerk auf die Bühne brachte. Oder indem er mich ins Programmheft eines Imre-Madách-Johann-Wolfgang-Goethe-Abends setzte, noch bevor ich eine Zeile meiner Jakobinerszene niedergeschrieben hatte. Es ist dies der Lehrer, Übersetzer, Impresario und Performance-Künstler Péter Litván. Ein Tom Sawyer, der andere zum Streichen des Holzzaunes bringt, allerdings ohne dafür einen Cent zu nehmen. Ein paar Jahre vor seinem Tod hatte er eine Sonntagsschule gegründet, sie traf sich sonntags nachmittags um drei Uhr im Café „Zsivágó“ (Schiwago), im V. Bezirk von Budapest, aber auch an anderen Orten und Nichtorten (Nachruf auf Péter Litván: hier).

Ich hatte somit, denke ich, ein transparentes Motiv für das Schreiben, allerdings nur so lange, als ich nicht an meinem Verschwinden arbeitete. Für das Verschwinden braucht es durchsichtigere Schreibgründe als Mauerputz für ein Graffito, als Holzplanken für eine politische Parole. Früher, in den Zeiten v o r  Powerpoint & Co., gaben fensterklare Kunststofffolien einen brauchbaren Schreibgrund für löschbare Texte ab. Von Faserstiften mit wasserlöslichen Tinten beschrieben, boten mir die Folien das höchste Vergnügen, wenn ich sie im Bad unter die Wasserbrause hielt und der perlenden Auflösung von Silben, Wörtern und Sätzen zusah, die ich geschrieben hatte. Das war ein sinnlicheres Unterfangen als der Druck auf die Delete-Taste des Computers.

Ein Szenario, das diesem Modell folgte, könnte, glaube ich, mich noch einmal, ein letztes Mal, zum Schreiben veranlassen. Meine Texte, Kalligraphien mit wasserlöslichen Tinten, würden auf schaufenstergroßen, hinreichend stabilen, hinreichend flexiblen Folien öffentlich ausgestellt. Wenn ich mir noch etwas wünschen dürfte, würde die Vernissage von Péter Litván durch eine Performance bereichert. Unmittelbar daran schlösse sich die Finissage an. Zeit zum Lesen der Texte bliebe kaum. Die Texte würden nur in – „Fragmente“ ist das falsche Wort – ja, in Tropfen, Schlieren, Wischspuren aufgenommen. Denn – so stelle ich es mir vor – die Feuerwehren der Stadt Budapest und der Stadt Ulm, beide an der Donau gelegen, würden mit A- B- C-Rohren das Wasser in Marsch setzen und meinen Texten gelinde den Garaus machen. Ein Autodafé mit dem Gegenelement, davon träume ich. Passau, Linz, Mohács, Belgrad, auch ihr seid eingeladen, eure Feuerwehren zu entsenden!

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