Alpträume

Rückblick: Ich rufe aus Belgrad zu Hause in Budapest an, zwei drei Tage nach der Gay Pride Parade:  „Ist Post gekommen?“ – „Nichts Besonderes, nur der SPIEGEL.“ – „Was steht drin?“ – „Auf dem Titelbild ist eine Spinne, die wirft einen großen Spinnenschatten, es geht um die Macht der Angst. Angst ist gar nicht so schlecht, alle Erfolgreichen waren ängstlich, Bill Gates zum Beispiel.“ –  „Und was sonst noch?“ – „Ein Schimpfartikel über Budapest.“  Budapest – Hauptstadt der Alpträume – eine neue Marke in der Hitliste der Metropolen.

Caprichos Nr 43, Der Traum, der Vernunft erzeugt

Francisco de Goya:   El sueño de la razón produce monstruos (Caprichos 43) 1799

4 Kommentare zu “Alpträume

  1. Was will uns das denn jetzt schon wieder sagen? „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.“Sind Belgrad und Budapest für dich nur zwei Köpfe einer osteuropäischen Hydra, die die Aufklärung verschlafen hat und nun – Ungarn erwache! Serbien erwache! – den Pesthauch von Rassismus und Homophobie verströmt? Stimmst du damit dem Autor Erich Follath zu, der Budapest als Zentrum eines neuen Antisemitismus bezeichnet? Ziehst du damit nicht genau die Demarkationslinie zwischen Europa und Balkan, die du auf deiner Seite selbst kritisierst? Du kritisierst sie doch, oder? Ein bißchen mehr Klarheit, bitte!

  2. Zugestanden. Ich gebe keine Erklärungen ab, ich male. Nicht so gut wie Goya. Ich male mit Zitaten, auch Bildzitaten, mit Stimmungen, Anwandlungen und Anverwandlungen. Schwere Kost für Leser, die auf einfache Botschaften gepolt sind. Aber mein Verfahren ist weniger launenhaft als launig – passend zum Capricho. Denn die Wirklichkeit, die ist nicht so, wie wir sie uns in den Erklärungen der political correctness zurechtlegen mögen. Zurück zu Goya. Seine Zeitgenossen erkannten durchaus die kritischen und satirischen Angriffe in den Caprichos. Nach dem Verkauf weniger Blätter trat die Inquisition auf den Plan – und Goya schenkte das ganze Werk mitsamt der Druckplatten dem König. Capricho 43 war wohl ursprünglich als Titelblatt vorgesehen. Das Motto kann man so übersetzen wie Du: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.“ Alles hängt an der Mehrfachbedeutung von El sueño (Schlaf, Traum). Denn wenn die Vernunft zwar schläft, aber träumt? Die Monster sich nicht deshalb hervortrauen , weil der Wächter pflichtvergessen eingeduselt ist? Sondern weil der Schläfer sie hervorruft, ja im Traum produziert? „Der Traum, der Vernunft erzeugt”? Sollte Goya schon die Dialektik der Aufklärung ahnen? Zumindest dürfte er das Fallbeil gekannt haben, diese im Gegensatz zur Garotte rationale und humane Erfindung des aufgeklärten französischen Arztes Guillot, nach dem sie benannt wurde: die Guillotine. Jetzt denke oder träume das mal weiter!

  3. Wer sagt dir denn, daß Goya sich das alles so gedacht hat? Dialektik der Aufklärung! Ich muß lachen. Goya ist doch wohl nicht in die Frankfurter Pflichtschule gegangen, oder? Ist dir übrigens aufgefallen, daß den Verteidigern von Demokratie und Menschenrechten immer wieder nur eins entgegengehalten wird: Political correctness? Ihr wagt es ja nicht, wird unterstellt, euren eigenen Kopf zu gebrauchen, weil ihr euch nichts gegen die tonangebenden Meinungsmacher traut! Diese Umkehrung des Kantschen Imperativs finde ich besonders perfide. Aber das spielt sich ja sowieso alles nur im konservativ bis liberalen Feuilleton ab. Gedankenspielereien! Inzwischen schafft Viktor Orbán in Ungarn die Pressefreiheit ab, passend zu Ungarns EU-Ratspräsidentschaft ab Januar 2011. Über das neue ungarische Mediengesetz schreibst du nichts.

    • Gut, kurz noch mal zu Goya: Es gibt Entwürfe zu den Caprichios. In der zweiten Vorzeichnung zu Cap. 43 heißt es: „Der Autor/Künstler träumt. Seine einzige Absicht ist es, die schädlichen Gemeinplätze zu verbannen und mit diesem Werk der Launen das feste Zeugnis der Wahrheit fortzusetzen.“ Bewusst mehrdeutige Inszenierungen also – gegen das selbstgerechte Urteil der „Vernunft“, die aus Angst, nicht auf der richtigen Seite zu stehen, die Augen vor manchen Tatsachen verschließt bzw. diese verschweigt, weil sie ihr nicht in den Kram passen. Zum ungarischen Mediengesetz gibt es bald einen eigenen Artikel.

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